Samstag, 28. Januar 2012

Die Ballade von Gino F.


Gino F. stammt aus Vicenza.
Gino F. ist ein netter Herr in seinen späten Sechzigern.
Gino F. hat ein altes Rennrad zu verkaufen.

"È tutto Campagnolo." Das hatte seine Frau Gemahlin bereits am Telefon erwähnt (man hörte ihn beratend im Hintergrund).

Die Vespa aus dem Weg geschafft holen wir das Rennvelo mit gemeinsamen Kräften in der engen Garage von den Haken hoch an der Wand. Ein bisschen polvere der letzten quindici anni.



Gino F.s staubiges Rad steht vor uns. "Sono ricordi." Und nicht nur das: "È tutto Campagnolo."






Ein echtes, ultra-rares Bettega, mit der stets gern gesehenen Columbus-Taube, aus Vicenza. Natürlich aus Vicenza.

Vicenza? Da war doch was. Nicht nur die Bar, in der ich zum einzigen und letzten Mal Zeuge wurde, wie ein grosser Sack "Caffè Silver" in die Espressomaschine gefüllt wurde (wer etwas über den Verbleib  von Caffè Silver weiss, möge sich bitte melden - wer gar frischen Silver besorgen kann, dem sei ein Zugzwang-Rennvelo geschenkt). Nein, da war doch noch etwas anderes. Und wohl deshalb ist es Gino F. klar, ja ovvio, wie es ist, sein muss: "È tutto Campagnolo". Indoktrination.

Wer bin ich, Gino F. zu widersprechen? Aber dieser schnörkellose, sachlich-utilitaristische Wechsler mit dem L-förmigen Knick, ich sehe ihn nicht zum ersten Mal. Auch nicht den stürmischen Raubvogel auf der Kurbel. Also taste ich mich doch verbal heran.
Mein vorsichtiger Hinweis auf gewisse illustre, am Rad abzulesende Namen wie Ofmega, Universal und gar Shimano wird indes gekonnt gekontert: "È tutto Campagnolo." Gino F. fährt in der Manier eines Antiquitätenhändlers mit seinen Fingern über die Beschriftungen. Seine Lesebrille hat er nicht dabei für unsere abendliche Recherche unter der Neonröhre.

 Schreiten wir dennoch zur Inventur:

"È tutto Campagnolo."

"È tutto Campagnolo."

"È tutto Campagnolo."

"È tutto Campagnolo."

"È tutto Campagnolo."

"È tutto Campagnolo."

"È tutto Campagnolo."

"È tutto Campagnolo."

Man könnte von erdrückender Beweislast sprechen. Schliesslich jedenfalls, immer noch ohne Lesebrille, wird Gino F. doch etwas unsicher - "Forse era la bici che avevo prima." Nichtsdestotrotz, sono ricordi und er habe das Rad gehegt und gepflegt come mia figlia.

Gino F. hebt das Rad am Lenker ein paar Zentimeter hoch, lässt das Vorderrad mit der andern Hand laufen und sieht mich triumphierend an: "È perfetta."

Wo er recht hat, hat er recht. Das Rad hört nimmer auf, sich zu drehen. Wie ist das möglich? Ein Perpetuum Mobile, made in Vicenza? Ich erwarte bereits eine fast religiös verklärte Erklärung, etwa das Rad sei von seinem ursprünglichen Besitzer Roberto Baggio (deshalb die "B"-Gravur im Vorbau), Il Divin' Codino, beseelt, der sich jeweils nach seinen Knieverletzungen auf diesem Bettega im heimatlichen Vicenza wieder fit gemacht habe für seine schnellen Antritte.

Aber die Antwort liegt näher:


Campagnolo! Also doch. Dort, wo es drauf an kommt, werden wir fündig: bei den Naben. Wenn Campagnolo etwas konnte damals, dann Naben bauen.

Nun plötzlich auch die Schnellspanner: Campa!

Umwerfer: Campy!


Schalthebel: Campag!

Gino F. ist erleichtert. Sein Gesicht bekommt wieder seine ursprüngliche Röte zurück. Er hatte es ja gewusst. È tutto Campagnolo. Entspannt erzählt er nun von Touren in der Innerschweiz mit seinen amici. Die Welt ist in Ordnung.

Und diese Trouvaille aus Arzignano, Vicenza, Roberto Baggios Bettega, ist auch schwer in Ordnung: 






Columbus-Rahmen, neue Kette, neues Band, Campa-Naben, viel Storia Italiana, wohl schweizweites Unikat und keine Collés. Was will man mehr?

Rahmenhöhe 54.5 italienisch bzw. 55.5 deutsch messen. Oberrohr 54cm Mitte-Mitte. Ideal natürlich für Roberto Baggios Körpergrösse (1.74) plus/minus 5cm.

Verkauft.